Die Unmut steht den Bürgerinnen von Slawutysch ins Gesicht geschrieben. Sie haben sich vor der städtischen Kunstschule versammelt, um gegen das vom Berliner Künstler Igor Zaidel kuratierte und von der ukrainischen NGO Garage Gang geförderte Projekt ‘Mythologem der Stadt’ zu protestieren. Zaidel hatte vorgeschlagen, die triste Fassade des Schulgebäudes großflächig mit Streifen in den CMYK-Farben und einem weißen Engel – dem Stadtsymbol – aufzufrischen. Als sein Entwurf bekannt wurde, gab es eine massive Internet-Hass-Kampagne gegen ihn und sein Projekt. Zaidel hatte daraufhin die Bürger eingeladen, was zur besagten Gegendemonstration vor der Kunstakademie führte.
“Was wollt ihr hier mit eurer Kunst? Wenn ihr etwas Vernünftiges mit Eurer Zeit anfangen wollt, kümmert Euch doch darum, dass unsere Renten gezahlt werden”, rief ihm eine der Bürgerinnen zu, erzählt Igor Zaidel. Das Projekt wurde abgesagt, die tapferen Slawutyscher hatten ihre tristen Fassaden ehrenhaft verteidigt. “Sie mögen dort keine moderne visuelle Sprache, dort lebt noch die Sowjetunion”, erklärt Zaidel. “In zwei Jahren wird das Kraftwerk der Stadt dichtgemacht, dann wird Slawutysch, die Planstadt, die erst 1986 als Evakuierungsstadt nach der Tschernobyl-Reaktorkatastophe aus dem Boden gestampft worden war, wie so viele andere Städte in der Ukraine langsam veröden.”
SBKG-Künstlergespräch mit vielen traurigen Geschichten
Die Geschichte von Slawutysch ist nur eine der vielen traurigen Geschichten, die Igor Zaidel zum SBKG-Künstlergespräch ‘Wie ich meinen Sommer und Herbst verbrachte’ mitgebracht hatte. Der in Russland geborene Künstler, der seit 1990 in Berlin lebt, hatte ein knappes Dutzend Städte in Russland und angrenzenden Ländern besucht – eingeladen als Artist in Residence, als Teilnehmer eines NGO-Festivals und als Organisator künstlerischer Projekte.
Da gibt es die Geschichte von Kronstadt, einer Marinestadt eine Autostunde von Petersburg entfernt. “Ich hatte in einem Wettbewerb eine NGO-Residenz in Kronstadt gewonnen und hatte eigentlich geplant, eine Serie von Porträtmalereien nach Recherchefotos anzufertigen. Das Projekt wurde von vornherein abgelehnt – keine Fotografien! Ich habe mich dann darauf verlegt, die allgegenwärtigen Militärs von hinten oder heimlich zu fotografieren.”
Igor Zaidel verbrachte einen Monat in einer Stadt, in der Minen, U-Boote, Torpedos und andere tödliche Gerätschaften die Straßenlandschaft prägen wie andernorts Blumenkübel. “Der Militarismus, der uns in Westeuropa suspekt erscheinen mag, wird dort ganz anders betrachtet. Es gibt dort eine gelebte Symbiose von Militarismus und Patriotismus, ein seltsamer Stolz auf die Waffenkraft des Landes. Ich war einen Monat in Kronstadt und es war immer dasselbe: Militärparaden und Touristen, die sich vor den allgegenwärtigen tödlichen Geräten ablichten lassen. In der Stadt waren wir nur zwei Künstler – gegen alle, das war schon extrem seltsam.”
Extreme Rechte zertrümmern das Kulturzentrum in Krementschuck
Als Igor Zaidel in der ukrainischen Autostadt Kremenchug ankommt, haben extreme Rechte gerade mit Baseballschlägern das städtische Kulturzentrum zertrümmert. “Die politische Landschaft in der Ukraine ist ziemlich kompliziert. Es gibt dort eine starke, extrem rechte Fraktion. Auf der anderen Seite eine starke Linke und agile, aufblühende NGO-Strukturen mit flachen Hierachien.”
Auch in Kremenchug gestaltet sich die Arbeit zunächst schwierig. Als bekannt wird, dass er und die lokalen Künstler planen, das Kulturzentrum wieder aufzubauen und die Fassade flächendeckend mit einem Mural zu bemalen, schlägt auf Facebook eine Hate-Kampagne los. “Wir ließen uns aber nicht beirren und fingen an, die Fassade mit einem Riesen-Dino mit LKW-Kopf – in der Stadt wurden die legendären KrAZ-LKW produziert – einem Fisch und einem Lollipop-Gehirn zu bemalen. Es war eine Knochenarbeit. Die in der Ukraine hergestellte Farbe ist dermaßen giftig, dass beim heißen Sommerwetter einige Leute in Ohnmacht fielen. Aber es hat sich gelohnt: Mit fortschreitender Arbeit wuchs das Interesse der Bevölkerung und mittlerweile ist man stolz auf das Zentrum, das zu etwas ganz Besonderem, zu der Sehenswürdigkeit der Stadt geworden ist.”
In ganz Minsk findet Zaidel nur ein einziges Graffiti
Kontrastprogramm Minsk: Die weissrussische Stadt brüstet sich, die letzte Stadt zu sein, in der die stalinistische Architektur in Reinform erhalten ist. Staatschef Lukaschenko hat deshalb veranlasst zu beantragen, Minsk in das UN-Kulturerbe aufzunehmen. “In Minsk ist alles unglaublich sauber, das erzeugt ein irreales Gefühl. Über weite Strecken sieht man keine Menschenseele auf der Straße – so ist das oft in totalitären Städten, kein Mensch traut sich raus. Dann wieder gibt es Schübe von Militärpräsenz und Marschierenden und ein Gefangenentransporter, der wie demonstrativ rekursiv immer wieder auftaucht. Und, erstaunlicherweise, eine Riesenschlange in einem Neubaugebiet vor einer katholischen Kirche. Das ergibt eine seltsame Vermischung von christlicher Religion mit sowjetischer Staatsreligion – die Stadt ist wie ein Museum für das Sowjetsystem. In ganz Minsk habe ich, in einer abgelegenen Seitenstraße, nur ein Graffiti gesehen: Es lautete ‘ZHZN’ für Leben.”
Immer noch stolz, von den Griechen ausgeraubt worden zu sein
Ein schillerndes Bild zeichnet Igor Zaidel von Georgien und der Hauptstadt Tiflis, wo er am MitOst-Festival teilnahm. Da ist die touristische Altstadt, wo alles schick scheint, in Wahrheit aber nur Fake, nämlich überpinselter Beton ist. Teure, gentrifizierte Bezirke, aus denen die alteingessenen Einwohner vertrieben wurden, und eine Bevölkerung, deren größter Traum es ist, einen Mercedes zu besitzen – egal wie das eigene Haus aussieht.
Ein Stadtbild, geprägt von den Prachtbauten des Ex-Präsidenten Saakaschwilli, der es verrückterweise im von Korruption geplagten Land geschafft hatte, einen Justizpalast aufzubauen, in dem jedes amtliche Problem tatsächlich in einer Viertelstunde abgewickelt werden kann. Und der die Fabriken abreißen ließ, in die Türkei verkaufte und damit ein prächtiges Wachstum von 9,5 Prozent erzielte.
Irgendwo dazwischen die georgischen Künstler, alle nett, chaotisch, saufend und kiffend, und dabei beseelt vom phänomenalen Erfindungsgeist der Georgier: Da gibt es in der georgischen Nationalgalerie die unglaubliche Vorschrift, jeder Künstler, der dort ausstellen will, müsse die Aufhängung selbst bezahlen. Da dies aber ein teueres proprietäres System ist, verweigert Irakli Bugiani, einer der bekanntesten zeitgenössischen georgischen Künstler, die Ausgabe, stellt seine Werke auf Spanplatten aus und wird damit zum Stadtgespräch.
Igor Zaidels ursprüngliches Projekt eines Murals scheitert auch in Tiflis an bürokratischen Hürden – Graffitis und Wandbemalungen sind strikt untersagt – und weicht aus auf eine LKW-Plane, die zur Hand war. Darauf entsteht, unter Beteiligung vieler Festival-Teilnehmer, ein Bild des Goldenen Vlieses, das Iason und seine Argonauten der Legende nach den Vorfahren der heutigen Georgier raubten. “Das Vlies mit dem Lari-Symbol der georgischen Währung repräsentiert einen verdrehten Aspekt georgische Idendität: Die Argonauten raubten und vergewaltigten, aber die Georgier sind bis heute stolz darauf, dass die Griechen überhaupt da waren und sie in ihrer Mythologie Erwähnung fanden. Selbst die führende Biermarke im Land, Argo, ist nach ihnen benannt.”
Die Galerie zum Künstlergespräch illustriert den Blogeintrag und zeigt weitere Stationen auf Igor Zaidels Reiseroute.
Beitragsbild: Das Kulturzentrum in Krementschuck.